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Dienstag, 10. September 2013

Road trip von Berlin nach Madrid

Am Mittwoch ging es dann also endlich los. Wir starteten vom Rasthof Grunewald, der sehr gut von der S-Bahnstation Nikolassee zu erreichen ist. Das war immer die Haltestelle, an der ich aussteigen musste, um an den Wannsee zu meinem Segelkurs zu laufen. So schloss sich der Kreis also wieder. Außerdem befindet sich die Raststätte an der Spanischen Allee. Da wusste ich, dass wir hier Glück haben würden.

Erstmal sah es wenig vielversprechend aus, da kaum Autos unterwegs waren und es außerdem noch andere Tramper gab, die die Leute an der Tankstelle direkt ansprachen. Wir stellten uns an die Ausfahrt, Jorge malte in Schönschrift Köln auf ein Stück Pappkarton und ich streckte jedem vorbeifahrendem Wagen den Daumen entgegen. Neben uns warteten ein jüngerer Typ und seine Mutter auf die Mitfahrgelegenheit nach Bielefeld für den Jungen, die sie zuvor über das Internet organisiert hatten. Sie guckten uns ein wenig mitleidig an als wir erzählten, wir wollten per Anhalter nach Köln fahren. Bei den Zehlendorfern würden wir sicher wenig Erfolg haben, meinte die Mutter. Wir könnten froh sein, wenn sie uns nicht mit Eiern bewerfen, bemerkte der Junge. Wir wandten uns etwas genervt ab. Trotzdem waren auch wir aufgrund der wenigen Fahrzeuge etwas skeptisch und dachten schon über Alternativen nach.



Aber nach gar nicht allzu langer Zeit stoppt plötzlich ein kleiner weißer Transporter. Der Fahrer kurbelte das Fenster herunter und meint fast entschuldigend bis Köln könne er uns nicht mitnehmen, aber er fahre nach Hannover und könne uns dort absetzen. Das war für uns natürlich ein totaler Glückstreffer, gleich vom ersten Fahrer fast 300km, die Hälfte der geplanten Tagesstrecke, mitgenommen zu werden. Der Junge und seine Mutter, die immer noch auf die Mitfahrgelegenheit für den Jungen warteten, verfolgten mit großen Augen, wie wir unsere Rucksäcke in den leeren Transportraum schmissen und uns auf die zwei Beifahrersitze neben unseren Fahrer schwangen. Vorher fragten sie noch, ob er uns bis nach Köln fahre. Jorge, der die Frage glaube ich nicht richtig verstanden hatte, rief vor dem Einsteigen nach „Ja!“ und schon fuhren wir der Autobahnauffahrt entgegen.

Schon in der S-Bahn auf dem Weg nach Nikolassee fragte ich mich, wer wohl unser erster Fahrer sein würde. In einem Blog von drei Jungs, die ebenfalls nach Südamerika getrampt sind, habe ich nämlich gelesen, dass ihr erster Fahrer von einer Insel im Atlantik war, auf der sie später mit dem Segelboot auch wirklich gehalten haben. Im Rückblick setzen sich oft Puzzleteile zusammen, die vorher völlig zufällig und unzusammenhängend erscheinen.
Unser erster Fahrer war dann auch tatsächlich kein Deutscher. 

Woher kam er also?

Aus Russland. Sibirien. Novosibirsk…

Ich fand das lustig, weil ich eben gerade noch in der S-Bahn über die Geschichte von den drei Jungs nachdachte. Wer weiß wohin uns diese Reise bringen wird. Eine gewisse Russlandaffinität meinerseits kann ich sicherlich nicht abstreiten. Und Jorge findet eh alles toll, was irgendwie mit Kommunismus zu tun hat. Aber jetzt geht es ganz sicher erstmal nach Kolumbien und hoffentlich noch in ein paar andere südamerikanische Länder. Vielleicht Kuba.

Im Auto bat ich unserer sympathischen Fahrer auch gleich doch bitte wieder den russischen Radiosender einzuschalten, den er hektisch abgestellt hatte als wir einstiegen. Und so dudelte uns der vertraute russische Singsang entgegen, den Jorge aus seiner Zeit in Usbekistan kennt und mich ebenfalls an meine Reise nach Belarus, Russland und Usbekistan im letzten Jahr erinnerte. 

Unser Fahrer, der einen typisch russischen Namen hatte und den ich hier einfach Andrej nennen werde, erzählte uns dann auch einiges aus seinem Leben. Nach dem Ende der Sowjetunion kam er gemeinsam mit seiner Frau, einer Russlanddeutschen, nach Berlin. Er erzählte uns mit welchen Jobs er sich seit dem in Deutschland über Wasser gehalten hat. Viele Jahre lang arbeitete er als Lkw-Fahrer, obwohl er diesen Job nicht mochte. Er konnte viel zu wenig Zeit mit seiner Familie verbringen und die Arbeit war schlecht bezahlt. Außerdem wurde er von seinen Vorgesetzten oft dazu gedrängt, die gesetzlich vorgeschriebenen Ruhezeiten nicht einzuhalten. Wurde er dann dabei erwischt, musste er die Strafe selbst bezahlen. Er erzählte uns, dass er viele Jahre als Fahrer für eine Bäckerei arbeitete, von ein Uhr nachts bis neun Uhr morgens. Aber er war froh, nicht mehr am Wochenende arbeiten zu müssen. Als er sich dann eine Wohnung in Hohenschönhausen kaufen wollte, die für 38.000€ zum Verkauf angeboten wurde, wollte ihm die Bank aufgrund seines geringen Gehalts keinen Kredit geben. Zwei Euro mehr müsse er pro Stunde verdienen, sagten sie ihm. Andrej bat bei seinem Arbeitgeber um eine Gehaltserhöhung, die sie ihm nicht geben wollten. So wurde aus der eigenen Wohnung nichts, denn nochmal würde so ein günstiges Angebot nicht kommen, davon ist zumindest Andrej überzeugt. Und mehr als 38.000 Euro könne er sich definitiv nicht leisten. Heute arbeitet er wieder als Fahrer, für eine ukrainische Firma, die Wodka in Deutschland vertreibt. Es tat mir echt leid, dass sich so ein sympathischer, hilfsbereiter und gegenüber 'Fremden' so aufgeschlossener Mensch mit solchen merkwürdigen, schlecht bezahlten Jobs durchschlagen muss. Aber irgendwie schien er auch nicht viel mehr vom Leben zu erwarten.


Nach einer bewegten Fahrt ließ uns Andrej dann an einer Raststätte kurz vor Hannover heraus. Da machten wir erstmal eine ausgiebige Mittagspause und aßen unsere mitgebrachten Brote an einem der Picknicktische. Danach stellten wir uns wieder an die Ausfahrt. Ich habe keine Ahnung mehr wie lange wir warteten, aber im Nachhinein erscheint es mir sehr kurz. Kaum standen wir dort fuhr auch schon ein roter Audi A2 langsam auf uns zu, erst wurde er immer langsamer, dann auf einmal wieder schneller, fuhr an uns vorbei, stoppte, fuhr wieder langsam an. Wir wussten nicht so wirklich, was das bedeuten sollte. Aber ich beschloss hinterher zu laufen. Hinter dem Steuer saß ein etwas verwirrter Mittvierziger mit Hipster-Brille und quietsch-grünem T-Shirt und teilte mir mit, er könne sich nicht entscheiden, ob er uns mitnehmen wolle oder nicht. Das war schon so bezeichnend für diesen Schweizer Künstler, der unser zweiter und letzter Fahrer an diesem Tag werden sollte. Er wüsste nicht, ob es genug Platz für unser Gepäck gäbe. Wir könnten es ja einfach mal probieren, wand ich ein. Gesagt, getan, es passte alles ganz gut rein. Kaum saßen wir dann im Wagen, teilte er uns mit, er würde zwar nach Köln fahren, aber er wisse noch nicht, ob er uns wirklich die gesamte Strecke mitnehmen könne. Manchmal brauche er Zeit zum Reflektieren und das könne er beim Autofahren so gut, aber nur wenn er allein ist. Ich beschwichtigte, er könnte uns jederzeit unterwegs an einer Raststätte absetzen, das sei gar kein Problem, wir wären froh über jedes Stück das wir uns fortbewegen. Wie schon erwähnt hatten wir Glück und er hat uns unterwegs nicht mehr rausgeschmissen.


So waren wir also schon am frühen Nachmittag in Köln und beide ganz enthusiastisch, da wir morgens noch keine Ahnung hatten, wo wir eigentlich landen würden. In Köln angekommen liefen wir zuerst zum Dom, bewunderten das imposante Bauwerk von einem schattigen Plätzchen aus und verdrückten unseren restlichen Proviant. Bereits im Auto hatte Jorge zwei Freunde von ihm kontaktiert, die in Köln wohnen. Leider konnte er einen nicht erreichen, aber die andere, Friederike, hatte zum Glück Zeit für uns und wir konnten sogar bei ihr übernachten. Auf einmal hatten wir also auch noch eine Unterkunft in Köln. Wir verbrachten den Rest des Nachmittags am Rheinufer, wo wir abends auch Friederike trafen. Später kochten wir gemeinsam in Friederikes Wohnung und gingen früh schlafen, da wir ziemlich geschafft waren von diesem faszinierenden ersten Tag. Ich glaube es ist ein gutes Zeichen für unsere Reise, dass wir so einen guten Start hatten.






Am nächsten Tag ging es sehr viel langsamer voran. Wir brauchten eine Weile, um zu der Tankstelle zu gelangen, von der aus wir starteten. Im Internet kann man sich für jede größere Stadt geeignete Abfahrtsorte für das trampen raussuchen. Auf der Webseite Hitchwiki zum Beispiel findet man Informationen über günstige Startpunkte und wie diese mit öffentlichen Verkehrsmitteln bzw. zu Fuß zu erreichen sind.

Die Tankstelle zu der wir fuhren, befand sich kurz vor der Autobahnauffahrt. Eigentlich keine schlechter Standpunkt, nur hielten dort sehr wenige Autos. Und an die Straße konnten wir uns nicht stellen, da die Autos dort keine Haltemöglichkeit hatten. Gleich am Anfang hielten zwar drei Autos, aber niemand fuhr in unsere Richtung. Wieder gab es zwei andere Tramper, die an der Tankstelle die Leute direkt ansprachen. Auch sie hatten keinen Erfolg. Es vergingen bestimmt 1,5 Stunden bis die anderen beiden eine Mitfahrgelegenheit fanden. Da fassten wir auch wieder Mut. Ich probierte es dann auch damit, die Leute direkt anzusprechen. Alle waren sehr freundlich und aufgeschlossen mir gegenüber, nur fuhr tatsächlich niemand in unsere Richtung. Nach eine Weile stellte ich mich wieder zu Jorge, der mit seinem Aachen-Schild immer noch an der Ausfahrt stand und es vergingen keine zwei Minuten, da hielt plötzlich ein junger Mann in Bundeswehruniform.

Phillip war vor kurzem selbst in Malaysia per Anhalter unterwegs und freute sich nun sichtlich, selbst Leute mitnehmen zu können. Oft wurden wir von Menschen mitgenommen, die selbst schon per Anhalter gefahren sind. Als ich neben Phillip saß, erinnerte ich mich daran, wie ich in diesem Blog schrieb, dass man durchs Trampen oft mit Leuten in Kontakt kommt, die man sonst nicht kennenlernen würde. Nun saß ich also neben einem Bundeswehrsoldaten. Und irgendwann erzählt er uns tatsächlich aus seiner Zeit in Afghanistan und wie einmal unter einem Auto, das direkt vor ihm fuhr, eine Bombe explodierte. Der Wagen war gepanzert, so dass die Insassen mit einer Gehirnerschütterung und wahrscheinlich einem ordentlichen Schock davon kamen. Er erzählte uns, welchem enormen Stress die Soldaten in Afghanistan ausgesetzt sind und dass er selbst Glück gehabt habe, nur vier Monate dort zu sein. Außerdem teilte er uns noch mit, wie sehr ihm die Antikriegshaltung vieler Deutscher zu schaffen mache. Diese „aggressiven Pazifisten“, wie Phillip sie nennt, gäben ihm ständig zu verstehen, er sei ein schlechter Mensch. Er habe kaum noch Freunde außerhalb der Bundeswehr, da sich viele aufgrund seines Berufes abgewandt hätten. „Wenn man nach vier Monaten äußerster Belastung und Ausnahmezustand aus Afghanistan zurückkehrt und am Flughafen als erstes die ‚Soldaten sind Mörder‘ Schilder sieht, dann kann einen das richtig fertig machen“, erzählte uns Phillip. Das führe dann dazu, dass sich die Soldaten immer mehr in ihren eigenen Kreis zurückzögen und mit dem Außen kaum noch etwas zu tun haben wollen. Auch wenn ich sicherlich nicht mit allem einverstanden war, was Phillip uns etwas erregt während unserer einstündigen Fahrt erzählte, war es interessant sich seine Perspektive anzuhören.

Phillip war dann sogar so nett, uns noch ein Stück weiter direkt bis an die belgische Grenze zu fahren. Dort machten wir wieder unsere ausgiebige Mittagspause und liefen dann rüber nach Belgien. Wir stellten uns selbstbewusst mit einem Paris-Schild an die Ausfahrt. Aber es waren wieder mal sehr wenig Autos unterwegs und außerdem war es an diesem Tag richtig heiß, so dass uns auch die Sonne zu schaffen machte. Bald änderten wir unser Schild in Mons, eine kleine belgische Stadt kurz vor der französischen Grenze. Damit hätten wir vielleicht mehr Erfolg, dachten wir. Irgendwann, nach einer gefühlten Ewigkeit, kam dann ein riesiger Lkw neben uns zum Halten. Wir kapierten erst nicht, dass dieses Riesenfahrzeug tatsächlich stoppt, da sonst nie Lkws halten. Anscheinend wird es den Fahrern von ihren Firmen verboten, Anhalter mitzunehmen. Na ja man muss ja nicht immer auf alles hören, was der Chef sagt.

Der freundliche Mensch, der nun neben uns hielt, winkte uns zu sich hoch. Unsere Rucksäcke durften wir auf sein Bett, das sich direkt hinter dem Fahrer- und Beifahrersitz befand, schmeißen. Ich setzte mich aufs Bett und Jorge auf den einzigen Beifahrersitz. Und dann glitten wir mit den gleichmäßigen 80km/h über die belgische Autobahn. Ich fand dieses Tempo richtig angenehm, da man die Umgebung viel besser wahrnehmen kann, wenn nicht alles so an einem vorbei rast.

Unser Fahrer hieß Göksel, war Türke und auf dem Weg nach England. Er fuhr über Brüssel und hätte uns auf unserer eigentlichen Strecke, die auf dem direkten Weg nach Paris führte, nur ein kleines Stück mitnehmen können. Da wir uns beide so wohl in Göksels Fahrzeug fühlten hatten wir aber wenig Lust gleich wieder auszusteigen. Also beschlossen wir kurzerhand nach Brüssel zu fahren und dort die Nacht zu verbringen. Göksel sprach ein wenig Englisch und so erzählte er uns, dass er mit seinem Lkw zwischen Italien und Großbritannien hin und her fahre. Er bot uns auch gleich eine Mitfahrgelegenheit für den Rückweg an. Als wir dankend ablehnen mussten, schien Göksel etwas enttäuscht. Ich glaube, er hat sich wirklich über unsere Gesellschaft gefreut. Er lud uns dann noch auf eine Fahrt nach Schottland ein, da er meinte das sei das schönste Land auf seiner Strecke und wir müssten unbedingt mal dorthin fahren. Wir haben dann Telefonnummern ausgetauscht. Wer weiß, vielleicht fahren wir irgendwann nochmal mit Göksel nach Schottland.


Ein weiterer Grund, warum wir beschlossen nach Brüssel zu fahren war, dass Jorge auch dort eine Bekannte hat. Schon aus dem Auto heraus kontaktierte er Florence und verabredete einen Treffpunkt für den Abend. Als sie am Telefon hörte, dass wir noch keine Unterkunft haben, lud sie uns auch direkt zu sich nach Hause ein. So hatten wir wieder spontan eine Unterkunft für die Nacht gefunden. In Brüssel angekommen schlossen wir unsere Rucksäcke in die Schließfächer am Bahnhof ein, liefen ein wenig durch die Stadt und picknickten im Park. Am Abend trafen wir Florence. Wir verbrachten den Abend bei ihr zuhause mit ihrem Mann und dem 17-monatigen Baby.


Am nächsten Tag brachen wir relativ spät auf, da Florence frei hatte und wir ausgiebig auf dem Balkon frühstückten. Zum Glück fuhr uns Florence dann aber zur ersten Tankstelle auf der Autobahn Richtung Paris. So standen wir um 11 Uhr dort und mussten keine 10 Minuten warten bis das erste Auto stoppte. Ein ganz lieber Pakistaner, der seit 15 Jahren in Brüssel lebt und auf dem Weg nach Mons, kurz vor der französischen Grenze, war wurde unser erster Fahrer an diesem Tag. Er hatte den Laderaum voller Klamotten, die er auf einen Markt in Mons zum Verkauf anbieten wollte. Wir konnten unsere Rucksäcke gerade noch mit reinquetschen und schon ging es los.

An der Raststätte kurz vor Mons, an der uns unser pakistanischer Fahrer raus ließ, sahen wir gleich einen deutschen Reisebus. Wir erfuhren, dass sie auf dem Weg nach Paris waren, aber leider wollten sie und nicht mitnehmen. Also stellten wir uns wieder an die Ausfahrt und warteten. Ich glaube es vergingen wieder weniger als 10 Minuten bis ein schwarzer Alfa Romeo Coupé hielt, in dem zwei Jungs saßen, die nicht viel älter als 20 waren. Sie fahren nach Paris und würden uns gern mitnehmen. Juhuuuuuuu! Das war mal wieder ein Glückstreffer oder wie man in Australien sagen würde: „Too easy!“ Der dritte Tag machte dem ersten Tag in seiner Leichtigkeit Konkurrenz. Im Auto beschlossen wir auch ziemlich schnell in Paris zu bleiben, da – Überraschung – Jorge auch in Paris zwei Mädels kennt, die er gern treffen wollte, „para saludarlas“, um mal Hallo zu sagen, wie Jorge das dann ausdrückt. Das konnte ich ihm nicht ausschlagen, obwohl ich an dem Tag gern noch weiter gekommen wäre als bis Paris. Und anderseits hatten wir auf diese Weise auch für die dritte Nacht eine Übernachtungsmöglichkeit.



Unsere beiden belgisch-flämischen Fahrer sprachen perfekt Englisch und erzählten uns einiges über den Nonsens der belgischen Politik und den Konflikt zwischen der flämischen und walisischen Bevölkerung dieses kleinen Landes erfahren. Alles lief super bis wir uns der riesigen Agglomeration Paris nährten. Hier gerieten wir in einen schier endlosen Stau, der sich wie Kaugummi hinzog. Ich habe nicht auf die Uhr geguckt, aber wir standen bestimmt zwei Stunden kurz vor Paris. Das war natürlich ärgerlich für uns, da uns zwei Stunden unseres Pariser Nachmittags verloren gingen. Aber auf solche Dinge hat man eben keinen Einfluss.

Endlich in Paris angekommen, suchten wir zuerst ein kleines Café mit Wifi auf, aßen eine Kleinigkeit und kontaktierten Jorges Freundinnen über Skype. Leider waren die beiden schon völlig verplant, schließlich war es auch ein Freitag. Aber glücklicherweise konnten wir uns noch mit Julie treffen und bei ihr auch übernachten. Sie hatte an diesem Abend zwar nur kurz Zeit für uns, da sie noch auf eine Party ging und erst am nächsten Morgen wieder kam. Dafür verabredeten wir uns für den nächsten Tag zum Brunch, zu dem auch Jorges andere Pariser Bekannte, Carine, kam. So war klar, dass wir nicht vor dem frühen Nachmittag aus Paris rauskommen würden, aber da Jorge ja auch gekommen war, um seine Freunde zu treffen, wollten wir den Brunch nicht absagen. Als ich dann nach dem Brunch die möglichen Abfahrtorte auf Hitchwiki checkte, war klar, dass es ziemlich schwierig werden würde aus Paris rauszukommen. Wir hätten mit der Regionalbahn fahren und dann meist noch ein paar Kilometer laufen müssen. Das ist an sich kein Problem, aber wir hätten bestimmt zwei Stunden gebraucht, um überhaupt dorthin zu kommen. Eigentlich wollten wir an diesem Tag noch bis Bordeaux kommen, das wäre auf diese Weise kaum möglich gewesen. Und das Trampen macht wirklich keinen Spaß, wenn man unter Zeitdruck steht. Und den habe ich aufgrund des Meditations-Retreats, das ich wirklich gern besuchen möchte, leider. So ist mir im ersten Abschnitt unserer Reise das langsame Reisen noch nicht wirklich gelungen. Aber ich mochte die Spontanität der ersten Tage, einfach nach Köln, Brüssel und Paris zu fahren, obwohl das gar nicht geplant war, das war schon toll. Ich hoffe nur, wir haben unsere Gastgeberinnen nicht zu sehr überrumpelt.

Auf jeden Fall wäre es aber schöner gewesen, mehr Zeit an den jeweiligen Orten zu verbringen. Es war mein erstes Mal in Brüssel und ich hätte gern ein bisschen mehr von der Stadt gesehen. Auch in Paris hätte ich gern mehr Zeit verbracht. Und von Paris nach Bordeaux sind wir letztendlich mit der Mitfahrgelegenheit gefahren. Lieber wäre ich getrampt. Aber so war sicher, dass wir es noch am selben Tag nach Bordeaux schaffen. Und wir hatten noch ein paar Stunden vor der Abfahrt um 17.30, um Paris zu erkunden. Die Standard-Sehenswürdigkeiten haben wir zwar nicht besichtigt, aber wir sind dafür ein bisschen durch den Bezirk im Norden Paris‘, in dem wir übernachtet haben, geschlendert. Dabei entdeckten wir den tollen Park Belleville mit einem Wahnsinnsblick über Paris.




Um 17.30 Uhr ging es dann also mit der Mitfahrgelegenheit, die wir bzw. unsere Gastgeber über das Internet organisiert haben, auf nach Bordeaux wo wir 22.30 Uhr ankamen. Die Leute setzten uns freundlicherweise am Campingplatz ab, der sonst schwer für uns zu erreichen gewesen wäre. Viel mehr ist über die Personen, mit denen wir gefahren sind aber auch nicht zu erzählen. Wir haben uns kaum mit ihnen unterhalten. Sie zeigten wenig Interesse uns gegenüber. Und auch ich muss gestehen, dass ich ganz froh war meinen Computer ohne schlechtes Gewissen rausholen zu können und die Zeit zu nutzen, um diesen Blogeintrag zu schreiben. Sicher war ich in diesem Moment froh über diese Möglichkeit, aber trotzdem merkte ich daran sehr deutlich, wie Geld unsere Beziehungen zueinander verändert. Dadurch, dass wir für die Fahrt bezahlt hatten, waren wir für den Fahrer einfach ein Mittel zum Zweck. Er konnte seine Benzinkosten reduzieren oder, bei dem Preis den wir dafür zahlten, vielleicht sogar ganz abdecken. Er tat uns dafür den Gefallen, uns bis nach Bordeaux mitzunehmen. Damit war die Sache erledigt. Darüber hinaus musste sich niemand die Mühe machen, sich mit dem anderen zu beschäftigen, sich auf ihn einzulassen und kennenlernen zu wollen. Beim Trampen trifft man sich auf einer ganz anderen, viel menschlicheren Ebene. Das wäre mit diesen Leuten vielleicht auch möglich gewesen, aber wie gesagt war ich ja auch froh, die Zeit produktiv zu nutzen und mir mal keine Mühe geben zu müssen, die anderen kennenzulernen. Das habe ich mir aber nur ‚erlaubt‘, weil wir für die Fahrt bezahlt haben.

Am nächsten Tag entschieden wir spontan, mal nicht gleich weiter zu fahren, sondern den ganzen Tag in Bordeaux zu verbringen und erst am Montag aufzubrechen. Die Zeit war ohnehin knapp und ich vertraute einfach darauf, dass ich es irgendwie bis Dienstag nach Madrid schaffen würde, wenn nötig mit dem Bus. Das war auf jeden Fall eine gute Entscheidung, auch wenn wir die erste Hälfte des Tages auf dem Campingplatz vertrödelten, da wir auch noch unsere Wäsche waschen wollten. Der Nachmittag in Bordeaux hat sich aber auf jeden Fall gelohnt. Wir haben die schöne Altstadt besichtigt, eine tolle kostenlose Kunstausstellung entdeckt und den unterschiedlichsten Musikern entlang des Flussufers gelauscht. Da waren wirklich talentierte Menschen dabei. Außerdem gab es ein kleines Salsa-Event am Flussufer. Es war also sehr viel los, wir hatten wohl Glück an einem Sonntag dort zu sein.  




Am nächsten Tag sind wir dann blitzschnell ins Baskenland gekommen. Mit nur zwei Fahrern und jedes Mal weniger als 10 Minuten Wartezeit haben wir es bis zum Mittag ins 240 km entfernte Bayonne, kurz vor Biarritz, geschafft. Das ist eine hübsche kleine Stadt im Baskenland. Wir ließen uns bestimmt zwei Stunden Zeit, um die Stadt zu besichtigen und Mittag zu essen. Danach stellten wir uns an die Straße, die nach Biarritz und San Sebastian führte. Obwohl wir einen wirklich guten Platz gefunden hatten, an dem die Autos sehr gut halten konnten und außerdem sehr viel Verkehr war, dauerte es eine Weile bis die erste Fahrerin hielt. Daran merkten wir schon, dass die Fahrt per Anhalter nun schwerfälliger sein würde. Wir näherten uns der spanischen Grenze. Die Frau konnte uns leider nur ein kleines Stück mitnehmen. An der nächsten Stelle war es dann dasselbe: Super Spot, viel Verkehr, aber es dauerte eine Weile bis jemand hielt. Wieder fuhr er aber nur ein paar Dörfer weiter und so kleckerten wir über die baskischen Dörfer. Auf diese Weise haben wir aber sehr viel vom französischen Baskenland gesehen. Für mich war es das erste Mal in dieser wunderschönen, pittoresken Region. Die Straßen schlängeln sich durch die traumhaft grüne, bergige Landschaft und bieten teilweise atemberaubende Ausblicke auf das in der Sonne silber-blau funkelnde Meer. So bin ich echt dankbar für das langsame Vorankommen an diesem Tag, das einen unvergesslichen Eindruck von dieser Region bei uns hinterließ. Unser zweiter Fahrer ließ uns auch direkt am Strand in einem kleinen Ort raus und so ließen wir es uns nicht nehmen, noch ein Stündchen am Strand zu verbringen und unsere Füße im kühlen Atlantik zu erfrischen.



Unser nächster Fahrer fuhr uns dann über die Grenze und so erreichten wir endlich Spanien. Da es schon ziemlich spät war, beschlossen wir den Zug nach San Sebastian zu nehmen. Dort kauften wir ein Ticket für den Nachtbus nach Madrid, da wir es anders nicht mehr schaffen würden und nachts auch nicht trampen wollten. Dafür hatten wir nun noch einen ganzen Abend in San Sebastian bevor unser Bus um 00.30 Uhr abfahren würde. Wir setzten uns in ein Café, Jorge machte sich – von der Last des Rucksacks befreit – auf, die Stadt zu erkunden und ich, die ich vor vier Jahren schonmal dort war, blieb im Café, um weiter an diesem Blogeintrag zu schreiben. Anschließend aßen wir dann noch in einem Restaurant. Da es im Baskenland das beste Essen in ganz Spanien gibt, wollten wir uns diese Chance nicht nehmen lassen. Bevor der Bus abfuhr schlenderten wir noch gemeinsam ein wenig durch die wunderbare laue Sommernacht. Am nächsten Morgen um 07.30 Uhr kamen wir dann sogar ziemlich ausgeschlafen in Madrid an, da wir beide fast die ganze Fahrt durchgeschlafen haben. Wir frühstückten in einem Café und hatten dann noch knapp drei Stunden, um durch Madrid zu laufen, bevor mein Bus um 11 Uhr nach Candeleda abfuhr, wo ich an dem Meditations-Retreat teilnehmen werde. 

Wären wir direkt nach Madrid geflogen, wie ursprünglich mal geplant war, hätten wir das alles nicht erlebt, all die wunderbaren Menschen nicht getroffen, wir hätten Jorges Freunde nicht besucht und die zahlreichen zauberhaften Orte nicht gesehen. Dazu gehört vor allem der französische Teil des Baskenlands, aber auch Bordeaux und Brüssel, wo ich zum ersten Mal war. Sicherlich war es ein Wehmutstropfen, nicht mehr Zeit an den Orten verbringen zu können. Daran zeigt sich, dass man nicht langsam genug reisen kann. Schöner wäre es gewesen keinen Termin zu haben, an dem wir in Madrid sein müssen. Einfach dort zu bleiben, wo es uns gefällt, so lange wir Lust dazu haben. Einfach spontan Orte zu besuchen, zu denen unsere Fahrer und, wenn auch seltener, Fahrerinnen unterwegs sind. Aber während des ersten Teils unserer Reise sollte es leider nicht so sein. Wir haben trotzdem jede Menge erlebt und die Reise sehr genossen.


Nun sitze ich im Bus, schreibe diesen Eintrag zu Ende und hoffe, dass ich in dem kleinen Ort noch Internet finden werde, um ihn online zu stellen. Danach werde ich zehn Tage lang keinen Kontakt zur Außenwelt haben. Nicht mal mit den anderen Kursteilnehmern werde ich mich unterhalten können, darf kein Telefon oder Computer benutzen, keine Bücher lesen oder mich sonst irgendwie ablenken. Wir werden jeden Tag um 4 Uhr früh aufstehen und zehn Stunden meditieren. Nicht am Stück, sondern mit Pausen dazwischen. Langsam werde ich mir bewusst, dass das ziemlich hart werden könnte. Aber ich glaube es gibt einen guten Grund dafür, dass ich diesen Kurs unbedingt machen will. Im letzten Jahr sind mir immer wieder Menschen begegnet, die es gemacht haben und mir rieten, es auch zu probieren. Wenn man ständig vom Leben mit der Nase draufgestoßen wird, sollte man sich einfach darauf einlassen. Im nächsten Eintrag schreibe ich dann mehr über die Vipassana-Methode und meine Erfahrung während des 10-tägigen Retreats. 

Dienstag, 3. September 2013

Von Berlin nach Bogotá - The Slow Way

Endlich geht es wieder los! Dieses Jahr steht nach längerer Zeit eine größere, mehrmonatige Reise an. Sie wird mich von meiner Heimatstadt Berlin in die kolumbianische Hauptstadt Bogotá führen. Das ist zumindest der grobe Plan, auf welchen (Um)Wegen ich dort hingelangen und welche Länder ich darüber hinaus bereisen werde, ist noch ungewiss. Auf jeden Fall möchte ich die Strecke auf dem Land- und Seeweg zurücklegen. Das ist mir wichtig, denn wie ich in den vorherigen Einträgen schon schrieb, haben Flugzeuge für mich wenig mit wahrem Reisen zu tun.

In Kolumbien will ich endlich die Familie meines Freundes Jorge kennenlernen. Über 4 Jahre sind wir jetzt zusammen und wir haben es tatsächlich noch nicht einmal nach Kolumbien geschafft. Es hat sich einfach nicht ergeben, da uns anscheinend immer die Zeit für einen angemessen langen Aufenthalt fehlte. Wenn wir schon den weiten Weg nach Südamerika zurücklegen, wollen wir auch mindestents ein paar Monate bleiben.

Mit dem Segelboot über den großen Teich


Als ich vor ein paar Jahren zum ersten Mal vom „boat hiking“, dem trampen per Boot, erfahren habe, stand für mich fest, dass ich den Atlantik unbedingt einmal auf diese Weise überqueren wollte. Am Besten in einem Segelboot, weil es mir als eines der natürlichsten und nachhaltigsten Fortbewegungsmittel erscheint. In den letzten Jahren begegnete ich dann immer wieder Menschen, die genau das gemacht haben und mich dazu ermutigten, es auch zu probieren. So war es also nur noch eine Frage der Zeit bis ich mich endlich auf den Weg mache.

Nun scheint der perfekte Zeitpunkt gekommen zu sein. Jorge ist gerade von einem mehrmonatigen Auslandsaufenthalt in Usbekistan zurückgekommen, wo er für eine internationale NGO gearbeitet hat. Jetzt hat er einige Monate frei, bevor es zu seinem nächsten Einsatz geht. Ich habe vor einigen Monaten mein Studium beendet und bin glücklicherweise noch nicht ins Hamsterrad des Berufslebens eingestiegen. Und habe das auch erstmal nicht vor. Anstatt irgendeinen Job zu machen, nur um Geld zu verdienen, möchte ich meine Zeit, also mein Leben, lieber einer Sache widmen, die mich wirklich mit Freude erfüllt. Nur weiß ich leider noch nicht genau, was das für eine Sache ist. In den vergangenen Monaten in Berlin war ich auf der Suche danach. Ich habe unterschiedliche Dinge ausprobiert, ein bisschen gejobbt und erste journalistische Gehversuche gemacht. Aber aus irgendeinem Grund bin ich an einem bestimmten Punkt nicht mehr weitergekommen. Ich habe das Gefühl, dass ich die Sicherheit meiner gewohnten Umgebung für eine Weile verlassen, meinen Kopf wieder mit neuen Ideen füllen und mich von fernen Orten und unbekannten Menschen inspirieren lassen muss. Ich hoffe, dass mir diese Reise dabei helfen kann, herauszufinden, wie ich leben will und welcher Sache ich mich voll und ganz widmen möchte.

Meine momentane Ungebundenheit ermöglicht mir die schönste Form des Reisens: Ich habe keinen Termin, zu dem ich zurück sein muss. Keinen Zeitdruck, keine Limitierungen. Ich kann mich voll und ganz auf das einlassen, was mir unterwegs begegnet und mich vom Leben überraschen lassen. Meine Berliner Wohnung habe ich zwar erstmal nur bis Ende März untervermietet, aber gleichzeitig weiß ich, dass ich relativ problemlos auch von unterwegs via Internet eine neue Untermieterin oder Untermieter finden würde. Das Schöne an Großstädten ist, dass man meist relativ problemlos auch kurzfristig Untermieter findet, sodass man während längerer Reisen nicht zuhause weiterhin Miete zahlen muss, nur um die Wohnung zu halten. Auf Websites wie www.wg-gesucht.de kann man WG-Zimmer und kleinere Wohnungen zur Zwischenmiete anbieten und schnell Interessierte finden.

Segel-Training auf dem Wannsee


In Vorbereitung und Vorfreude auf die Reise habe ich bereits im letzten Sommer einen Segelkurs auf dem Berliner Wannsee gemacht. Das mag etwas lachhaft klingen, sich auf dem Wannsee auf eine Atlantiküberquerung vorbereiten zu wollen, ist aber so blöd nicht. Denn anscheinend ist es  schwieriger auf einem See zu segeln als auf dem Meer. Auf den Binnengewässern dreht nämlich der Wind viel häufiger, während er auf hoher See meist kontinuierlich aus einer Richtung bläst. Das ist sehr entspannend, denn dann braucht man nur die Segel einmal richtig setzen und kann dann für eine Weile die Fahrt genießen. Im Binnengewässer muss man dagegen ständig aufpassen und die Segel dem veränderten Wind anpassen. Kommt dann eine unerwartete Windböe auf, liegt man ganz schnell im Wasser. Mit dem Kentern habe ich in dieser Zeit viele Erfahrungen gemacht und sogar das eiskalte Aprilwasser überlebt. Ich bin also bestens auf widrige Bedingungen vorbereitet.

Günstige Segelkurse kann übrigens jede/r über die Universitäten buchen. Zumindest ist das in Berlin so, müsste aber auch in anderen Städten möglich sein. Externe zahlen zwar einen etwas höheren Preis als Studierende der jeweiligen Unidversität, es ist aber immer noch viel günstiger als einen Kurs bei einem privaten Anbieter zu belegen. Ich habe meinen Kurs zum Beispiel im Wassersportzentrum der Freien Universität Berlin gemacht.

Die große Atlantik-Rally


Die beste Reisezeit um von Europa nach Südamerika zu segeln ist von September bis Januar, da dann die Winde in die entsprechende Richtung wehen. Zu dieser Zeit hat man die besten Chancen, ein Segelboot für die Atlantiküberquerung zu finden. Sowohl von Frankreich aus als auch Südspanien, von den kanarischen Inseln sowie dem afrikanischen Senegal verlassen die Boote die Häfen diesseits des Atlantiks, um in die neue Welt aufzubrechen. Die meisten Boote segeln in Las Palmas, der Hauptstadt der größten kanarischen Insel Gran Canaria, los. Das ist auch der Starthafen für die Atlantic Rally for Cruisers, eine große Regatta, die jedes Jahr Ende November stattfindet. Dann verlassen um die 200 Boote gemeinsam den Hafen in Las Palmas, um zu der karibischen Insel Saint Lucia vor der Küste Venezuelas zu segeln. Zu keiner Zeit verlassen mehr Boote den größten Yachthafen des kanarischen Archipels. Zweifelsohne also eine gute Zeit, um nach einer Mitfahrgelegenheit auf einem Segelboot zu suchen. Es ist allerdings auch die Zeit, zu der besonders viele Menschen genau dasselbe versuchen werden.

Dieses Jahr werden also auch Jorge und ich unter den Suchenden sein. Wir hoffen, dass wir spätestens Mitte November in Las Palmas eintreffen: Sollten wir einen Platz auf einem der teilnehmenden Boote ergattern, wären wir bereits Mitte Dezember in der Karibik. Darauf können wir uns aber nicht verlassen. Es werden wohl viele Menschen nach einer Mitfahrgelegenheit suchen und die meisten Boote nehmen vor allem während der Regatta verständlicherweise lieber erfahrene Segler mit an Bord. Jorge hat noch gar keine Segelerfahrung, aber wer weiß, vielleicht kann ich ja doch mit meinem Segelschein für die berlin-brandenburgischen Binnengewässer ein klein wenig punkten. Wenn nicht müssen wir uns eben in Geduld üben und weitersuchen. Irgendjemand wird uns schon mitnehmen. Irgendwann.

Die nächsten 2-3 Monate bevor wir in See stechen, werden wir in Spanien, Portugal und Marokko verbringen. Ich bin sehr dankbar für diese Zeit, denn sie ermöglicht es uns wirklich langsam zu reisen und den Weg nach Südamerika ganz bewusst zu genießen. Schließlich ist beim Reisen wie auch im Leben der Weg wichtiger als das Ziel. Auf der iberischen Halbinsel haben wir auch noch einiges vor, aber davon werde ich später noch berichten.

Von Berlin nach Madrid per Anhalter


Unser erstes Ziel ist die spanische Hauptstadt. In Madrid sind Jorge und ich uns vor über vier Jahren das erste Mal begegnet. Jorge hat fünf Jahre und ich habe fünf Monate in Madrid gelebt. Beide wollen wir unsere ehemalige ‚Heimat‘ wiedersehen. Unglaubliche dreieinhalb Jahre ist es her, dass wir dort waren. Ich werde dann Mitte September in einer kleinen Stadt in der Nähe von Madrid - Ávila - einen 10-tägigen Vipassana–Meditationskurs machen. Jorge steht momentan noch auf der Warteliste. Es ist also noch nicht sicher, ob wir das gemeinsam machen werden.

Über die Vipassana-Meditation schreibe ich dann das nächste Mal mehr. Jetzt steht erstmal die Reise nach Madrid an. Wir haben uns entschieden per Anhalter zu fahren, weil das für uns beide eine der spannendsten Arten des Reisens ist. Es mag manchmal etwas anstrengend und unbequem sein, sich bei jeder Wetterlage an die Straße zu stellen und zu hoffen, dass jemand anhält und einen mitnimmt. Meistens wird man aber für diese Mühen reichlich belohnt. Auf diese Weise begegnet man den ungewöhnlichsten und interessantesten Menschen. Oft sind es Leute, mit denen man sonst nie Kontakt aufgenommen hätte, weil sie zum Beispiel einem ganz anderen Milieu, einer anderen Altersklasse oder ähnlichem angehören. Diese Art des Reisens ermöglicht es, mit den unterschiedlichsten Menschen des jeweiligen Reiselandes in Kontakt zu treten und auf diese Weise so viel mehr über das Land zu erfahren.

Wenn man sich auf wildfremde Menschen verlassen muss, ist man dazu gezwungen, offen zu sein und sich auf sie einzulassen. Es ist eine schöne Praxis, die uns Vertrauen in das Leben und unser Mitmenschen lehrt. Das Reisen per Anhalter erfordert völliges Vertrauen auf beiden Seiten. Der Inder Satish Kumar, der Anfang der 60er Jahre ohne einen Cent in der Tasche von Ghandis Grab  in Indien nach Moskau, Paris, London und Washington D.C. - die Hauptstädte der damaligen Atommächte - pilgerte, um gegen Nuklearwaffen zu protestieren, sagte in einem Interview sinngemäß: Wenn Angst zu Krieg führt, dann müsse Vertrauen Frieden bringen. Das Trampen ist nicht einfach ein billiges Transportmittel für Leute mit kleinem Budget, die außerdem nach Abenteuern suchen. Es ist eine Praxis, die eine neue Kultur des Vertrauens schaffen kann. Sie stellt der ungesunden Angst unserer Zeit, dem Argwohn und Misstrauen zwischen den Menschen, Vertrauen, selbstloses Handeln und gegenseitige Unterstützung gegenüber. Sie durchbricht die Logik unseres Wirtschaftssystems, das für jeden Gefallen eine Gegenleistung erwartet.
„Wenn man allerdings genug Geld hat und nicht auf die Hilfe anderer angewiesen ist, kann man um die ganze Welt fahren, ohne einem einzigen Einheimischen zu begegnen, außer denjenigen, die einen bedienen.“ Dan Kieran 
Es kann durchaus hinderlich sein während einer Reise zu viel Geld zur Verfügung zu haben. Wir werden viel zu bequem. Wir können alles käuflich erwerben und müssen uns nicht die Mühe machen, uns für andere Menschen zu öffnen und auf Fremde einzulassen. Das ist im ersten Moment bequem, aber uns entgeht so furchtbar viel. Das Reisen verliert durch die Bequemlichkeit seinen eigentlichen Sinn. Wir sind gar nicht bereit mit den Orten, die wir bereisen, und den Menschen, die dort leben, in Kontakt zu treten und wirklich in die Tiefe zu gehen, weil es anstrengend ist und manchmal auch Mut erfordert.
Das scheinbare Manko eines kleinen Budgets (oder auch des Reisens ohne Geld) zwingt uns dagegen dazu, uns auf andere Menschen einzulassen, um Hilfe zu bitten und unsere einschränkende Bequemlichkeit und Verschlossenheit gegenüber Fremden zu überwinden. Das berreichert die Reiseerfahrung enorm, macht sie lehrreicher und authentischer.

Leider sind Jorge und ich auf unserer Reise nach Madrid zeitlich ein wenig eingeschränkt, da mein Meditationskurs bereits am 10.09. beginnt. Da wir nun unsere Abfahrt schon um 2 Tage verschoben haben, sind wir nun ein bisschen spät dran. Andererseits war es auch schön, die Freiheit zu haben, den Termin einfach zu verschieben und uns die Zeit zu nehmen, die wir brauchen. Das wäre kaum möglich gewesen, hätten wir einen Flug gebucht.
Morgen, am Mittwoch dem 04. September 2013, geht es aber definitiv los. Es ist ein bisschen schade, dass wir nun nur sechs Tage für die Reise haben und keine längeren Stopps auf dem Weg einlegen können. Aber der Kurs ist mir diesmal wichtiger. Ausserdem bin ich die Strecke schon einmal vor vier Jahren per Anhalter gefahren und habe mir damals reichlich Zeit gelassen. Ich bin zuversichtlich, dass wir in Frankreich und Deutschland zügig vorankommen werden. In Spanien ist das Trampen erfahrungsgemäß etwas schwerfälliger. Eventuell werden wir dort auf den Bus umsteigen, damit wir es noch rechtzeitig schaffen. Im nächsten Blogeintrag berichte ich dann, wie unsere Reise nach Madrid verlaufen ist.